Newsletter 10/2016 (Dezember): Alle Jahre wieder…

Liebe Leser*innen,

kurz vor Weihnachten das Tafelsilber zu verscherbeln, das ist wohlmöglich nicht die beste Idee. Noch schlimmer ist es, wenn es nicht um Luxus-Besteck für ein Feiertags-Festmahl geht, sondern um grundlegende Infrastruktur unserer Stadt. Am Donnerstag, den 8. Dezember, ist der Bochumer Rat zur wichtigsten Sitzung des Jahres zusammengekommen. Auf der Tagesordnung standen die Verabschiedung des Haushalts 2017 und ein Konzept mit weiteren rot-grünen Kürzungs- und Privatisierungsvorschlägen. In diesem Newsletter berichten wir über die Beschlüsse im Rat und aus den Ausschüssen – und davon, was in den vergangenen Wochen in Bochum politisch sonst noch so passiert ist.

Die Themen im Einzelnen:

1. Haushalt 2017: Privatisierungs- und Kürzungskonzept verabschiedet
2. Falsche Prioritäten: 160.000 Euro für Werbe-Bustouren
3. Sozialdezernentin Anger gegen Stimmen der Linksfraktion wiedergewählt
4. Förderung der freien Kulturszene: Mehr wäre nötig
5. Das war toll: Empfang für eine soziale, demokratische & vielfältige Stadt
6. Sicherheitsdienste-Affäre: Aufklärung muss weiter gehen!
7. VfL-Trainingslager-Absage: Klares Zeichen
8. Unsichtbare Armut: Jeden zweiten Tag eine Zwangsräumung in Bochum

 

1. Haushalt 2017: Privatisierungs- und Kürzungskonzept verabschiedet

Leider ist eine Überraschung ausgeblieben: Gegen unsere Stimmen hat der Rat dem rot-grünen Haushaltsentwurf 2017 und dem dazugehörigen Kürzungs- und Privatisierungskonzept zugestimmt. Unser Fraktionsvorsitzender Ralf-D. Lange hat in seiner Haushaltsrede die Unsinnigkeiten und Grausamkeiten scharf kritisiert, die SPD, Grüne, UWG und Freie Bürger damit umgesetzt sehen wollen: „Es geht los bei der Privatisierung der Verkehrsüberwachung von Ampelverstößen: Die – so nennen Sie das – ‚Bewirtschaftung‘ der Ampeln soll zukünftig eine Privatfirma übernehmen. Weiter geht es mit dem Outsourcing der Schulhausmeistervertretungen. Auch hier sollen zukünftig Mitarbeiter*innen einer privaten Facility-Management-Firma zu einem reduzierten Stundensatz ran. Auch die städtische Gebäudereinigung wollen Sie teilweise outsourcen.“ Weiter kritisierte Lange das Festhalten an dem Personalkostendeckel, der vor allem zu einem „Verschiebebahnhof in Richtung Fremdvergabe an Privatfirmen“ führe – was häufig sogar teurer sei als die Erledigung der Aufgaben mit eigenen Beschäftigten.

Auch die Verwaltung streitet nicht ab, dass die nominelle Einhaltung des Personalkostendeckels damit erkauft wird, dass Stellen nicht zeitnah wiederbesetzt werden, wenn Beschäftigte ausscheiden. Die Folgen sind Arbeitsüberlastung, Überstundenberge und ein hoher Krankenstand bei der Stadt. Dazu Ralf-D. Lange: „Dringend notwendige Stellen einfach erstmal nicht zu besetzen, und darauf zu hoffen, dass die Kolleg*innen das schon irgendwie abfangen – ein Arbeitgeber, der so denkt, handelt unverantwortlich!“ Weitere Punkte auf der beschlossenen Streichliste: Bei den Trägern der Jugendhilfe sollen ab 2017 200.000 Euro und ab 2018 sogar 500.000 Euro gekürzt werden. Auch die Ärmsten in unserer Stadt sollen die Pläne zu spüren bekommen: Um jährlich insgesamt 800.000 Euro wollen SPD, Grüne, UWG und Freie Bürger ab 2018 die Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Empfänger*innen zusammenstreichen.

Diese Haushaltsplanungen sind keine gute Nachricht für Bochum. Zwar wies Lange auch darauf hin, dass für die Unterfinanzierung der Kommunen maßgeblich SPD, CDU und Grüne auf Bundes- bzw. Landesebene verantwortlich sind. Aber: „Sie als lokale Verantwortliche müssen sich leider vorwerfen lassen, unter diesen falschen Rahmenbedingungen auch noch das Falsche zu tun“, sagte Ralf-D. Lange. „Statt wenigstens jetzt, kurz vor dem Superwahljahr 2017, endlich mal den Druck auf Ihre Parteifreund*innen in Berlin und Düsseldorf spürbar zu erhöhen, halten Sie ihnen weiter den Rücken frei – und legen hier vor Ort erneut einen Katalog an Unsinnigkeiten und Grausamkeiten vor.“ Trotz alledem kündigte er an: „Wir werden weiter für einen Politikwechsel streiten – als linke Opposition im Rat und zusammen mit den sozialen Bewegungen auch im außerparlamentarischen Raum.“ Die Rede von Ralf-D. Lange im Wortlaut.

 

2. Falsche Prioritäten: 160.000 Euro für Werbe-Bustouren

Nicht nur die riesengroßen Kürzungen sind umstritten. Mit ihrer Mehrheit haben SPD und Grüne auf der Ratssitzung außerdem die Honorarordnung der Volkshochschule zusammengestrichen. Kursleiter*innen an der VHS Bochum können zukünftig keine Fahrtkostenpauschale mehr abrechnen. Bisher konnten die sowieso nicht gerade üppig entlohnten Kursleiter*innen 2,90 Euro pro Unterrichtstag geltend machen, wenn sie mehr als 15 Kilometer vom Unterrichtsort entfernt wohnen. Durch die Kürzung spart die Stadt lediglich 5.000 Euro pro Jahr ein.

Während die SPD und die Grünen solche Streichungen mit ihrem „Haushaltssicherungskonzept“ begründen, halten wir folgende Zahl für besonders bemerkenswert: Alleine in diesem Jahr hat die Stadt Bochum für die Werbetour des „Bochum Express“ 160.000 Euro ausgegeben. Das jedenfalls ist die Antwort der Verwaltung auf unsere Anfrage zum Thema. Mit dem Geld wurde ein im Bochumer „Markendesign“ beklebter Bus nach Hamburg, Stuttgart und Düsseldorf geschickt, um dort für die Stadt Bochum zu werben. Jeweils 40 Personen konnten mit ihm zum Nulltarif und mit einem „Rundum-sorglos-Paket“ nach Bochum zu reisen. In der Antwort der Verwaltung heißt es: „Die Kosten umfassen sämtliche Leistungen für das Programm, Catering und Geschenke in Bochum (alle drei Touren), Fotograf, Kameramann, Hotel fürs Team, PR-Büros, Anmietung von Werbeflächen, Flyer inkl. Agenturleistung, Promotoren inkl. Kleidung, Online-Werbung, Genehmigungen in den Städten, Busmiete.“ Angesichts der Haushaltskrise, des Personalkostendeckels und fehlenden Investitionen im Bildungs- und Sozialbereich erscheint uns diese sehr teure Bustour als eine völlig falsche Prioritätensetzung. Die Antwort der Verwaltung im Wortlaut.

 

3. Sozialdezernentin Anger gegen Stimmen der Linksfraktion wiedergewählt

Weiter hat der Rat auf seiner Sitzung eine wichtige Personalentscheidung getroffen. Sozialdezernentin Britta Anger (Grüne) wurde für weitere acht Jahre als Sozialdezernentin wiedergewählt. Mit 45 Ja- und 33 Nein-Stimmen fällt das Ergebnis für sie durchwachsen aus. Denn häufig werden die städtischen Wahlbeamt*innen auch von den Nichtregierungs-Fraktionen mitgewählt. Anger jedoch erhielt lediglich eine einzige Stimme mehr als die rot-grüne Koalition mit Unterstützung von Oberbürgermeister Thomas Eiskirch selbst aufbringen kann.

Im Zusammenhang mit dem Bochumer Sicherheitsdienste-Skandal hat das Rechnungsprüfungsamt der von Britta Anger geleiteten Behörde eine ganze Reihe von Unregelmäßigkeiten und Versäumnissen nachgewiesen. Als Linksfraktion haben wir auch andere vom Sozialdezernat vorgeschlagene und von SPD und Grünen beschlossene Fehlentscheidungen scharf kritisiert, etwa die langfristige Anmietung der unwürdigen Industriezelte zur Massenunterbringung von Geflüchteten. Hier hat die Sozialverwaltung mit Rückendeckung von Rot-Grün langfristige Mietverträge geschlossen, an die Bochum jetzt ein halbes Jahrzehnt lang gebunden ist. Inzwischen geben die Verantwortlichen selbst zu, dass sie sich hinsichtlich der realisierbaren Wohnzustände in den Industriezelten getäuscht haben. Die große Enge, die Lärmbelastung, die fehlende Privatsphäre und fehlende Möglichkeiten zur Selbstbestimmung sorgen dafür, dass es in den Industriezelten besonders viele Konflikte gibt. Gleichzeitig ist diese Unterbringungsform die teuerste von allen in Bochum.

Die Zelte an der Kollegstraße, gegen die es auch von den betroffenen Geflüchteten massive Proteste gab, sind glücklicherweise inzwischen wieder leergezogen – was wir als Linksfraktion ausdrücklich unterstützen und begrüßen. Wir treten dafür ein, dass auch alle Bewohner*innen der anderen Industriezelte so schnell möglichst dezentral in Wohnungen untergebracht werden. Die Kosten für die teure Fehlentscheidung, die Industriezelte gleich für fünf Jahre anzumieten, wird die Stadt jedoch noch über viele Jahre hinweg tragen müssen.

 

4. Förderung der freien Kulturszene: Mehr wäre nötig

Mit den Stimmen der Linksfraktion hat der Rat beschlossen, die Verträge mit Einrichtungen der freien Kulturszene um ein Jahr zu verlängern. Es geht um die Förderungen für Theater, einige Vereine und auch das Kulturzentrum Bahnhof Langendreer. Die Einrichtungen können jetzt zumindest mit den Fördergeldern bis ins Jahr 2018 fest planen. Leider waren die SPD und die Grünen weiterhin nicht bereit, mit Drei-Jahres-Verträgen für längerfristige Planungssicherheit zu sorgen. Außerdem kritisierte Horst Hohmeier bereits bei der Vorberatung im Kulturausschuss, dass die Beschlussvorlage der Verwaltung noch nicht einmal Tariferhöhungen und unvermeidbare Kostensteigerungen berücksichtigt. Nachdem SPD und Grüne keinen Zweifel daran ließen, dass hier kein Entgegenkommen zu erwarten ist, haben wir der Vorlage dennoch zugestimmt. Denn wenn die Verträge nicht verlängert werden, wäre das noch viel schlimmer für die betroffenen Einrichtungen. Dass es diese Verträge überhaupt gibt, ist ein Erfolg von Protesten der freien Kulturszene in den Jahren 2014 und 2015, die auch wir unterstützt haben. Zuvor waren die Einrichtungen nämlich völlig prekär in jedem einzelnen Jahr auf das Wohlwollen der Ratsmehrheit angewiesen, und bei Nichtgenehmigung des Haushalts drohte vielen Einrichtungen sogar das komplette Aus. Wir bleiben jedoch dabei, dass zukünftig auskömmlich ausfinanzierte Verträge mit dreijähriger Laufzeit geschlossen werden sollten.

 

5. Das war toll: Empfang für eine soziale, demokratische & vielfältige Stadt

Auf Einladung unserer Fraktion haben sich am Montag, den 5. Dezember, Vertreter*innen der Bochumer sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Verbände, Vereine und Initiativen getroffen. Wir sagen allen, die da waren, einen herzlichen Dank für den sehr schönen Nachmittag und Abend!

Mit unserem „Empfang für soziale, demokratische und vielfältige Stadt“ wollten wir uns bei den Aktiven für ihr Engagement bedanken – und gleichzeitig einen weiteren Ort zur Vernetzung bieten. „Ohne euch, da machen wir uns nichts vor, wäre unsere parlamentarische Oppositionsarbeit kaum etwas wert“, sagte unsere Fraktionsvorsitzende Sevim Sarialtun in ihrer Begrüßung. „Als Fraktion sind wir mit dem Vorsatz und dem Versprechen angetreten, eng mit den Bewegungen und Initiativen zusammen zu arbeiten. Und dieses Versprechen wollen wir einlösen und hier ein weiteres Mal erneuern.“ Zentrales Thema war die prekäre Situation in der aktuellen Bochumer Wohnungspolitik. So wies Ralf-D. Lange auf die kommunale Mitverantwortung für Wohnungsmangel, Zwangsräumungen und Stromsperren hin. In einem Input-Vortrag stellte Aichard Hoffmann vom Mieterverein Bochum die zentralen wohnungspolitischen Forderungen des Mietervereins vor. Linda Bockholt, bekannt unter anderem als Teil der Bochumer Band „Tengo Hambre Pero No Tengo Dinero“ und durch Engagements am Schauspielhaus Bochum und am Prinz-Regent-Theater, sorgte für den beeindruckenden musikalischen Rahmen.  Mehr Eindrücke und Fotos von der Veranstaltung. Grußwort von Sevim Dagdelen.

 

6. Sicherheitsdienste-Affäre: Aufklärung muss weiter gehen!

In der Affäre um Sicherheits-Unternehmen, die im Auftrag der Stadt Bochum Geflüchtetenunterkünfte bewacht haben, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Im zuständigen Ausschuss hat das Rechnungsprüfungsamt den Untersuchungsbericht zum Skandal vorgestellt. „Der Bericht enthüllt Behördenversagen in einem bisher ungeahnten Ausmaß“, sagte dazu Horst Hohmeier, Mitglied der Linksfraktion im Rechnungsprüfungsausschuss. Mehr Infos. Auf der Sitzung wies Hohmeier er auf die große Menge weiterhin offener Fragen hin, die für eine sachgerechte Aufarbeitung unbedingt beantwortet werden müssen. Um diesen Prozess voranzutreiben, stellte er im Namen der Linksfraktion eine umfassende Anfrage mit insgesamt 30 Einzelfragen. Die Verwaltung ist jetzt gehalten, unter anderem aufzuklären, warum genau die Ausschreibung so katastrophal unterdimensioniert war, welche Überlegungen dazu geführt haben Subunternehmen nicht auszuschließen, warum die Stadt auf die vertraglich vorgesehenen Vorstellungen des Personals verzichtet hat, welche Stelle/Behörde genau die mündlichen und nicht nachvollziehbaren Aufträge vergeben hat, und welche Auswirkungen auf Stellenpläne und Personalplanungen zu ziehen sind. Sobald eine Antwort vorliegt, werden wir berichten. Unsere Anfrage im Wortlaut.

 

7. VfL-Trainingslager-Absage: Klares Zeichen

Sven-Eric Ratajczak, Mitglied der Linksfraktion im Ausschuss für Sport und Freizeit des Bochumer Rats, hat die Entscheidung des VfL Bochum begrüßt, in diesem Winter kein Trainingslager in der Türkei zu veranstalten. „Während die Bundesregierung trotz aller Menschenrechtsverletzungen weiter mit Erdogan kuschelt, sendet der VfL damit ein deutliches Zeichen“, sagte Ratajczak. „Auch Sportvereine haben eine gesellschaftliche Verantwortung. Ein Trainingslager in der Türkei, als wäre nichts geschehen, wäre das völlig falsche Zeichen, während das AKP-Regime das Land gerade zu einer Diktatur umbaut.“ VfL-Chefcoach Gertjan Verbeek hatte zuvor erklärt, die Absage habe nicht nur finanzielle, sondern vor allem auch politische Gründe. Mit Erdogan wolle er „nichts zu tun haben“, hatte der VfL-Trainer zuvor erklärt.

 

8. Unsichtbare Armut: Jeden zweiten Tag eine Zwangsräumung in Bochum

Häufiger als jeden zweiten Tag wird in Bochum eine Wohnung zwangsgeräumt. Das hat die Stadtverwaltung auf unsere Anfrage hin mitgeteilt. „Diese Verhältnisse dürfen wir nicht mehr als Normalität akzeptieren“, sagte dazu unser Ratsmitglied Horst Hohmeier. „Zwangsräumungen sind eine besonders brutale Folge des Zusammenspiels einer verfehlten Sozialpolitik mit dem wohnungspolitischen Versagen der rot-grünen Rathauskoalition.“ Wie die Verwaltung mitteilt, sind 2016 bis zum 14. Oktober insgesamt 146 Zwangsräumungen durchgeführt worden, angesetzt waren sogar 205. Im vergangenen Jahr lag die Zahl bei 204 durchgeführten Zwangsräumungen in Bochum. „Jede Zwangsräumung ist eine persönliche Tragödie“, so Hohmeier weiter. „Sie führt häufig zum Verlust des sozialen Umfeldes oder sogar in die Obdachlosigkeit.“ Praktisch immer sind Empfänger*innen von Transferleistungen betroffen. Neben den viel zu niedrigen Hartz-IV-Sätzen gibt es auch auch lokale Ursachen: „Es gibt weiterhin kaum kommunalen Wohnungsbau, der bezahlbare Wohnungen schafft“, sagt Horst Hohmeier. Außerdem kürzt das Bochumer Jobcenter die übernommenen Kosten der Unterkunft bei ALGII-Empfänger*innen um insgesamt fast zwei Millionen Euro pro Jahr. „Die Betroffenen müssen dann häufig versuchen, das fehlende Geld für Miete und Nebenkosten aus dem viel zu knappen Regelsatz abzuzwacken. „Wenn das nicht klappt, droht schlimmstenfalls die Zwangsräumung.“ Mehr Infos. Die Antwort der Verwaltung im Wortlaut.

 

Die Fraktion DIE LINKE. im Rat der Stadt Bochum wünscht schöne Feiertage und einen guten Rutsch!

 

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