Wie lange gelten politische Zusagen von SPD und Grünen in Bochum? Möglicherweise keine sechs Wochen. Im September hat der Rat der Stadt beschlossen, dass er eine rückwirkende Anwendung der Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge ablehnt. Jetzt sollen jedoch auch Geflüchtete, die vor Inkrafttreten des umstrittenen Integrationsgesetzes nach Bochum gezogen sind, einen „Härtefallantrag“ stellen müssen. Nur bei positiver Einzelfallentscheidung sollen sie nicht aus Bochum vertrieben werden.
„Die Stadt und die rot-grüne Koalition verspielen das letzte bisschen an Vertrauen, dass ihnen noch entgegengebracht wurde“, sagt der Fraktionsvorsitzende der Bochumer Linksfraktion Ralf-D. Lange. „Es ist ja ganz einfach: Entweder die Wohnsitzauflage wird wie versprochen nicht rückwirkend angewendet. Dann muss auch niemand einen Härtefallantrag stellen. Oder aber SPD und Grüne brechen ihre Zusage, und die Betroffenen müssen ihren Einzelfall prüfen lassen. Letzteres verursacht zusätzlichen bürokratischen Aufwand und ist unverantwortlich den Betroffenen gegenüber.“
Hintergrund ist das am 6. August in Kraft getretene „Integrationsgesetz“. Es enthält die sogenannte Wohnsitzauflage, die anerkannten Flüchtlingen verbieten soll, nach Ende ihres Asylverfahrens umzuziehen. Besonders scharf kritisieren Menschenrechtsorganisationen und Initiativen der Flüchtlingsarbeit, dass die Wohnsitzauflage rückwirkend gelten soll: Das Gesetz eröffnet Städten die Möglichkeit, auch anerkannte Flüchtlinge zu vertreiben, die vor Inkrafttreten des Gesetzes völlig legal dorthin gezogen sind.
In Bochum hatten Geflüchtete mit einem Protestcamp gegen ihre drohende Vertreibung protestiert. In einem offenen Brief forderten 20 Bochumer Organisationen die Stadt Bochum auf, „die integrationsfeindlichen und existenzbedrohen Maßnahmen zu unterlassen“. Am 15. September beschloss dann der Bochumer Rat, dass er eine rückwirkende Anwendung der umstrittenen Wohnsitzauflage ablehnt.
Wortbruch von langer Hand geplant?
„Aktuell können wir nicht ausschließen, dass SPD und Grüne den Wortbruch von langer Hand geplant haben“, sagt Ralf-D. Lange. Ein Indiz dafür ist der rot-grüne Antrag zur Ratssitzung im September. Im von den beiden Parteien zunächst eingereichten Antrag hieß es unmissverständlich und verbindlich:
„Die Stadt Bochum verzichtet darauf die Wohnsitzauflage rückwirkend geltend zu machen, also für alle anerkannten Flüchtlinge die seit dem 1. Januar 2016 bis zum Inkrafttreten des Gesetzes aus anderen Bundesländern zugezogen sind.“
Kurz vor der Sitzung änderten SPD und Grüne den Wortlaut ihres Antrags, in dem es fortan nur noch hieß:
„Der Rat der Stadt Bochum lehnt eine rückwirkende Wohnsitzauflage ab und fordert den Oberbürgermeister auf, auf Bundes- und Landesebene darauf hinzuwirken, dass Regelungen gefunden werden, wie Anrechnungs- und Kostenübernahmen erfolgen können, und dass Ausführungsregelungen für Härtefälle definiert werden.“
Dazu sagt Ralf-D. Lange:
„SPD und Grüne müssen jetzt erklären, ob sie die Betroffenen und die Initiativen der Flüchtlingsarbeit absichtlich für dumm verkauft haben. Haben sie deswegen den Wortlaut kurzfristig geändert? Wir bleiben dabei: Die Wohnsitzauflage darf nicht rückwirkend angewendet werden. Auch in allen anderen Fällen sollte die Stadt auf eine Vertreibung verzichten.“
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