Juhu, Bochum ist jetzt fahrradfreundlich! Wirklich?! Natürlich nicht. Aber nach einem Besuch einer Bewertungskommission ist unsere Stadt in die „Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte“ (AGFS) aufgenommen worden. Ein Bericht von Sabine Lehmann, Vertreterin der LINKEN im Ausschuss für Infrastruktur und Mobilität, die das Spektakel begleitet hat.
Was bisher geschah: Bereits im Jahr 2014 hatte sich Bochum für die Mitgliedschaft in der AGFS beworben. Beim ersten Versuch reichte die Stadt eine dicke Schwarte voller Luftschlösser als Bewerbung ein. Im Jahr 2015 kam die Bewertungskommission dann zu einem ersten Besuch in unsere Stadt. Anschließend gab es nicht die begehrte Aufnahme, sondern stattdessen jede Menge Hausaufgaben. 2016, zweiter Versuch: Kompaktere Bewerbungsunterlage, bessere Vorbereitung, erstmals wurden zumindest auch Fehler zugegeben.
Der Tag der „Bereisung“: 23.05.2016, 10:00 Uhr morgens. Der Oberbürgermeister kommt mit seinem brandneuen blauen Elektrofahrrad zum Treffpunkt. Er spricht warme Worte und ein Passant muss sich im Hintergrund sehr lange und sehr laut übergeben. Unwillentlich drückt er damit das ungute Gefühl aus, das man bekommt, wenn man die Begriffe „fahrradfreundlich“ und „Bochum“ assoziiert und das Stadtoberhaupt dazu spricht. Der arme Mann kann auch von den drahtesel-berittenen Freund*innen und Helfer*innen nicht ohne Weiteres ruhig gestellt werden.
Neben der Auswahlkommission der AGFS und dem Oberbürgermeister sind Mitarbeiter*innen der Verwaltung, der Polizei und wenige der eingeladenen Mitglieder des Ausschusses für Infrastruktur und Mobilität anwesend. Der örtliche ADFC war nicht eingeladen, ist aber trotzdem vor Ort, ebenso ein Vertreter der Stadtgestalter.
Zunächst geht es per U-Bahn zur Uni. Da der OB und die Polizei mit ihren Rädern sowie die meisten anderen Teilnehmer*innen keine Fahrkarte haben, werden wir von Kolleg*innen der Bogestra begleitet, die die Kontrolleure aus unserer Bahn komplimentieren, bevor diese das Gleiche mit uns tun.
An der Uni treffen wir den Rektor und die Mobilitätsbeauftragten, und es gibt brandneue Metropolradruhr-Räder mit „Bochum“-Reklame für alle. Die sind noch nicht mal registriert, und wir öffnen alle Zahlenschlösser mit dem Glücksdatum 2305. So ausgestattet bereisen wir Orte, an denen was gebaut wird, wo was geplant ist, wo gerade wie zufällig was fertig geworden ist und, wo man sicherlich noch was besser machen könnte. Aber: „Man muss ja immer Kompromisse machen“, sagt Herr Matten vom Tiefbauamt.
Als wir, kurz vor Ende der Tour, am Rathaus die Hans-Böckler-Straße auf dem unsäglichen Radweg hinab rollen, beeilt sich Herr Matten zu erklären, dass die Verwaltung gerade überlegt, ob man hier nicht die Parkplätze wegfallen müssten, damit die Radfahrer*innen nicht weiterhin gefährdet werden. Hoppla! Dies zu prüfen, hatte ich doch selbst gerade für die Linksfraktion in der letzten Ausschussitzung beantragt – woraufhin die SPD und die Grünen einen gemeinsamen Änderungsantrag stellten, um die Parkplätze zu erhalten und nur ihre Nutzungsberechtigung einzuschränken. Dieser Unsinn wird, wenn sich niemand dazwischen wirft, in der nächsten Sitzung durch die rot-grüne Mehrheit so beschlossen. Das weiß doch auch das Tiefbauamt!
In der abschließenden Präsentation im Foyer der Christuskirche wird unter anderem noch betont, wie intensiv Bochum jetzt an der Planung des Radschnellwegs RS1 arbeiten will. Hat mich nicht erst in der letzten Ausschusssitzung der Vertreter der Grünen ganz scharf angegangen, als ich beantragte, auf das „gekippte Parken“ unter der Bessemer- Unterführung zu verzichten – unter anderem, weil dort doch wahrscheinlich der RS1 entlang geführt werden soll? Hatte er mich nicht unwiedersprochen geschmäht, das würde in den Sternen stehen und ich wäre wohl die Einzige, die das schon wüsste? Jetzt wird exakt diese Planung mit großer Selbstverständlichkeit auf die Leinwand projiziert.
Die Auswahlkommission wird eingenebelt mit Beschönigungen, Absichtserklärungen und reumütigen Besserungsgelöbnissen. Sie kommt nach ihrer abschließenden Beratung zu dem Ergebnis, dass Bochum in die AGFS aufgenommen wird.
Was hat sie überzeugt? Zum Beispiel, dass es einen mehrfach im Jahr tagenden „Beirat Mobiltät“ gibt. Die Kommission kann ja nicht wissen, dass die Vertreter*innen von IHK und Wirtschaftsförderung in diesem Beirat seit Jahren ein innovatives Mobilitätskonzept für Bochum blockieren, um die unökologische 70er-Jahre-Vorstellung der „Autostadt Bochum“ bis aufs Blut zu verteidigen.
Zum Schluss freut sich noch der Vorsitzende der AGFS-Auswahlkommission Dieter Hilser (SPD), den „lieben Thomas“ (Eiskirch, SPD) jetzt in die AGFS-Runde aufnehmen zu können. Und der fragt naiv in Tanzschulmanier, ob man diese Auszeichnung beim nächsten Mal dann in Silber oder in Gold kriegen könnte. „Nein“, lautet die Antwort, „man kann nur bei der nächsten Prüfung nach sieben Jahren wieder rausfliegen“.
Das ist ja noch lange hin. Damit die Bochumer Stadtverwaltung, die SPD und die Grünen nach dieser unverdienten Ehre nicht in einem siebenjährigen Schlaf fallen, wird sie die Linksfraktion im Hinblick auf die Mobiltätspolitik also immer wieder kräftig wachrütteln müssen. Wir sind bereit!