Rede: Keine Sozialkürzungen durch „grundsicherungsrelevanten Mietspiegel“

Rede des Fraktionsvorsitzenden Ralf-D. Lange zum Tagesordnungspunkt 2.1. „Kosten der Unterkunft: Kein ‚grundsicherungsrelevanter Mietspiegel‘ ohne politische Beschlüsse und dem Antrag der Linksfraktion, Sitzung des Rates der Stadt Bochum am 12.11.2015.

 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren,

Ralf-D. Lange

wir müssen heute über diesen unseren Antrag beraten, weil die Verwaltung in Bochum erneut ein Eigenleben entwickelt hat, das wir für höchst bedenklich halten. Im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales hatte Sozialdezernentin Britta Anger erklärt: Die Verwaltung habe die Erstellung eines so genannten „grundsicherungsrelevanten Mietspiegels“ ausgeschrieben – und zwar, ohne dass dies jemals vom Rat oder dem zuständigen Ausschuss beschlossen wurde.

Inzwischen wissen wir: Diese hochumstrittene und von keinem demokratischen Gremium beschlossene Ausschreibung ist zum Glück bisher noch nicht veröffentlicht worden. Wir freuen uns, dass die Proteste des Mietervereins und auch die unserer Fraktion dazu beigetragen haben, dass das in unseren Augen falsche und unsoziale Vorhaben noch nicht umgesetzt wurde. So können wir heute noch darüber beraten.

Worum geht es? Die Beratungsagentur Rödl & Partner hat der Stadt Vorschläge für weitere Sozialkürzungen unterbreitet. Einer dieser Vorschläge lautet: Die Stadt soll einen so genannten „grundsicherungsrelevanten Mietspiegel“ erstellen lassen. Damit könne die Stadt die Kostenübernahme für Wohnungen von Sozialleistungs-BezieherInnen jährlich um bis zu 1,38 Millionen Euro senken. Gegen diesen Sozialkürzungsplan haben wir bereits vor Monaten protestiert.

Richtig ist, dass die Stadt Bochum aktuell über kein rechtssicheres „schlüssiges Konzept“ zur Ermittlung der „angemessenen“ Kosten der Unterkunft für SozialleistungsbezieherInnen verfügt. Es gibt aber große Bedenken gegen den Plan, ein solches Konzept auf Basis eines „grundsicherungsrelevanten Mietspiegels“ zu erstellen, wie das die Verwaltung vorhat.

Ihnen liegt bereits seit Februar eine Stellungnahme des Mietervereins und der Beratungsstelle für Arbeitslose des evangelischen Kirchenkreises vor, die das Vorhaben scharf kritisieren. Dort heißt es: Es würde zu unlösbaren Schwierigkeiten führen, wenn in Bochum zwei Mietspiegel parallel existieren. Unsoziale Verdrängung und Umzugswellen mit schlimmen sozialen Auswirkungen könnten die Folge sein.

Außerdem würde auch ein „grundsicherungsrelevanter Mietspiegel“ nichts darüber aussagen, in welcher Stückzahl angeblich „angemessene“ Wohnungen am Markt überhaupt verfügbar sind. Deswegen ist die Erstellung eines „grundsicherungsrelevanten Mietspiegels“ nach den Vorschlägen von Rödl & Partner nicht nur unsozial, sondern auch unsinnig:

Stattdessen brauchen wir eine Verfügbarkeitsanalyse unter dem Aspekt: Wie muss die Angemessenheit von Wohnraum inhaltlich mindestens definiert werden, damit in allen Bochumer Stadtteilen eine ausreichend große Anzahl von Wohnungen für TransferleistungsempfängerInnen zur Verfügung steht?

Denn wenn die Stadt Wohnungen für nicht angemessen erklärt, obwohl billigere Wohnungen überhaupt nicht in ausreichender Anzahl zu haben sind, verstößt sie weiterhin gegen Recht und Gesetz. Die Betroffenen, die dagegen klagen, bekommen Recht. Wer sich das aber nicht traut, wird von der Stadt über den Tisch gezogen und letztlich verdrängt.

Trotz dieser berechtigen und seit Monaten bekannten Einwände wollte die Verwaltung – und das ohne politischen Beschluss – die Erstellung eines „grundsicherungsrelevanten Mietspiegels“ ausschreiben. Das geht so nicht! Deshalb bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag, der die Verwaltung in diesem Punkt zur demokratischen Ordnung ruft. Und Herr Eiskirch, wir sagen auch: Es liegt in Ihrer Verantwortung als Chef der Verwaltung, dass so was nicht noch mal passiert.

Zu unserem Antrag liegt wieder einmal ein angeblicher „Änderungsantrag“ der rot-grünen Koalition vor. In Wirklichkeit soll unser Antrag vollständig durch einen anderen ersetzt werden. Dieses Vorgehen bleibt formal so problematisch wie in der Vergangenheit. Daher bitten wir auch heute um die voneinander unabhängige Abstimmung unseres Antrags sowie des rot-grünen Antrags.

Inhaltlich ist zu dem rot-grünen Antrag zu sagen: Er schließt sich einer wichtigen Forderung von uns an: Statt Rödl & Partner oder einer vergleichbaren Firma 50.000 bis 70.000 Euro zur Erstellung eines zweiten Mietspiegels in den Rachen zu werfen und damit nur neue Probleme zu schaffen, sollte die Stadt besser den bestehenden Arbeitskreis Mietspiegel bei seiner Arbeit unterstützen. Auch auf Basis des qualifizierten Mietspiegels kann die Stadt ein so genanntes „schlüssiges Konzept“ erstellen. Da lautet unsere Forderung aber, dass zwingend eine Analyse des verfügbaren Wohnraums in Bochum durchgeführt werden muss.

Die Angemessenheitskriterien müssen inhaltlich so definiert werden, dass in allen Bochumer Stadtteilen eine ausreichende Anzahl von Wohnungen zur Verfügung steht, damit es nicht zu sozialer Verdrängung kommt. Auf keinen Fall darf die Erstellung eines neuen „schlüssigen Konzepts“ zur Durchsetzung von weiteren Sozialkürzungen missbraucht werden, wie das die Beratungsfirma Rödl & Partner der Stadt vorgeschlagen hat. Auf diesen Bedingungen werden wir weiterhin bestehen. Vor diesem Hintergrund können wir dem rot-grünen Antrag zustimmen – aber nicht als Ersatz für unseren, sondern als zusätzlichen Antrag. Außerdem fordern wir natürlich weiterhin, dass sich die Stadt Bochum gegenüber dem Bund für eine Abschaffung der unsozialen und diskriminierenden Hartz-Gesetze einsetzt.

Vielen Dank.